Interview mit Urs Urech, seit Oktober 2018 Geschäftsführer der SET Stiftung

Urs, inwiefern siehst Du die Schulen in der Pflicht, sich um Rassismusprävention zu kümmern? Was schlägst Du als SET-Geschäftsführer den Lehrpersonen konkret vor?

Urs Urech: Mit dem Lehrplan 21 sind Schulen angehalten, sich für die Bildung zur nachhaltigen Entwicklung (BNE) einzusetzen. Das beinhaltet das Lernen über die Gesellschaft, über Gerechtigkeit, die politische Bildung und zur Menschenrechtsbildung. BNE soll das Nachdenken und Verstehen über die globalisierte Welt genauso fördern wie Lernprozesse in der Klassengemeinschaft und der Schule als Ganzes auslösen.

Weiter sind die sogenannt überfachlichen Kompetenzen von Schülerinnen und Schülern viel stärker gewichtet als bisher, diese sollen neu die Hälfte ausmachen.

Lehrpersonen müssen Kinder und Jugendliche in ihren personalen und sozialen (sowie methodischen) Fähigkeiten fördern, damit sie lernen sich einzusetzen und sich zu engagieren ‒ wörtlich «respektvoll mit Menschen umgehen, die unterschiedliche Lernvoraussetzungen mitbringen oder sich in Geschlecht, Hautfarbe, Sprache, sozialer Herkunft, Religion oder Lebensform unterscheiden».

Konkret wird die Rassismusprävention heute in der Schule fächerübergreifend wiederholt eingeflochten und Lehrpersonen suchen Unterrichtsideen und Lehrmittel, mit denen sie die BNE-Inhalte altersgerecht und kompetenzorientiert umsetzen können. Hier werden wir Schulen unterstützen und beraten. Momentan reagieren wir mit pädagogischen und didaktischen Kursberatungen auf Anfragen von Lehrpersonen, in Zukunft werden wir Schulprojekte und -programme lancieren.

 

Was für Präventionsprojekte kann die SET den Schulen anbieten?

Momentan vermitteln wir Partnerorganisationen wie NCBI für Schuleinsätze. Die T-BOX wird ab neuem Schuljahr für die Kindergartenstufe erhältlich sein und wir halten Ausschau nach neuen Projektideen für die Sek-1- und Sek-2-Stufe. Für die Primarschule bietet sich das Unterrichtsmaterial «Verfolgt und vertrieben. Lernen mit Lebensgeschichten» für das altersgerechte Lernen mit Kindern über die Schoah und die Menschenrechtsbildung an.

Hast Du ein Beispiel für ein gelungenes Anti-Rassismus-Projekt an einer Schule in der Schweiz?
Am 21. März 2019 konnte ich in Berneck am diesjährigen Aktionstag gegen Rassismus im Kanton St.Gallen mitwirken. In Zusammenarbeit mit der Jugendarbeit, der Schulsozialarbeit und der Integrationsfachstelle wurde den Schulklassen ein Workshop-Programm angeboten, in welchem junge Flüchtlinge aus Eritrea und Syrien und junge muslimische Frauen aus der Region aus ihrem Leben berichteten («Living Library»). Die Jugendarbeiterinnen leiteten einen interaktiven Workshop zu den antisemitischen Vorfällen vom letzten Sommer in einem Hotel in Arosa und ich konnte derweil den Lehrpersonen eine Einführung ins Lehrmittel «Verfolgt und Vertrieben. Lernen mit Lebensgeschichten» geben. Das war ein gelungener Tag und die Gespräche und gemeinsamen Erlebnisse werden die Schulklassen noch lange Zeit begleiten.

 

Welche Rassismusvorfälle kommen an Schulen in der Schweiz immer wieder vor?

Wir erhalten regelmässig Anfragen von Lehrpersonen aus den deutschsprachigen Kantonen, wie sie auf rassistische und antisemitische Vorfälle unter Jugendlichen reagieren sollen. Diese sind oft verbaler Natur, manchmal ist auch Vandalismus dabei oder selten sind es Mobbing oder Tätlichkeiten gegen Schüler/innen aus Minderheitengruppen. Wir beraten Schulen mit einer spontanen Einschätzung und mit Empfehlungen zur Bearbeitung der aktuellen Vorfälle mittels Opferschutz und Antirassismusarbeit. Wichtiger als die unmittelbaren Vorfälle bleibt aber die präventive Arbeit an einer Schulhauskultur, welche die gesellschaftliche Vielfalt begrüsst und wertschätzt. Dazu fördern wir Lehrmittel und Unterrichtsprojekte.

 

Zum Schluss: Warum engagierst Du Dich seit vielen Jahren in der Rassismusprävention?

Die Antirassismusarbeit interessiert und beschäftigt mich, seit ich anfangs der neunziger Jahre ins aktive Berufsleben eingestiegen bin. Mein Zivildienst bei NCBI 1996 war eine prägende Zeit, als die Debatte um die «nachrichtenlosen Vermögen» oder besser gesagt um die von den Schweizer Banken blockierten Gelder aus jüdischen Familien öffentlich geführt wurde und ich mich als Trainer von Rassismuspräventionsworkshops in Schul- und Berufsschulklassen plötzlich mitten in den Diskussionen über Juden und Geld und über die Vergangenheitsbewältigung der Schweiz zur Kriegszeit und insbesondere zur damaligen antijüdischen Flüchtlingspolitik befand. Da wurde mir klar, wie viel es da zu tun gibt und wie viele Vorurteile und Distanz es zwischen der Mehrheitsbevölkerung und (hier der jüdischen) Minderheiten gibt und wie schnell sich solche unnötigen Gräben manchmal öffnen können.

 

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